Wo soll das alles noch hinführen?

Es sind nicht diese tristen 1:0-Siege wie gegen Lübeck, die einen auf solch emotionale Art und Weise mit einem Verein verbinden. Es sind diese besonderen Spiele, über die man vielleicht in fünf, in zehn oder noch mehr Jahren noch spricht. RWE hat besonders im Pokal solche Geschichten zu liefern, diese Saison aber ganz sicher auch in der Liga.

Zum fünften Mal in dieser Saison drückt RWE in der Nachspielzeit das Pendel auf seine Seite und besiegt nach 1:2- und 2:3-Rückstand die U23 des SC Freiburg mit 4:3. Und die Torfolge ist noch nicht einmal das Verrückteste an der Partie von Samstag: Drückend überlegen war die Mannschaft von Dabrowski und die 1:0-Führung durch Thomas Eisfeld war hochverdient. Zuvor hatte schon allein Vonic zweimal die Chance, die Führung herzustellen, auch Obuz versuchte es mit einem Schlenzer. Von den Gästen war bis dahin offensiv nichts zu sehen. Doch unmittelbar nach dem 1:0 musste Golz schon einen Schuss parieren – da hätte der geneigte Zuschauer schon ahnen können, dass die Freiburger sich nicht aufgeben würden.

Als dann binnen 120 Sekunden das Spiel kippte, konnten sich vermutlich nicht einmal die Freiburger erklären, wie sie diese beiden Tore erzielen konnten – auch wenn beide Treffer äußerst sehenswert waren. Ja, da war die Abwehr nicht auf der Höhe, aber die Pfiffe zur Pause waren mehr als lächerlich.

Kurz nach dem Seitenwechsel gelang RWE der schnelle Ausgleich durch Vonic nach Vorarbeit von Obuz. Doch wer gedacht hätte, dass nun die Weichen endgültig auf Heimsieg gestellt seien, wurde nach einer Stunde erneut enttäuscht. Wieder eine sehenswerte Kombination der Gäste und der erneute Rückstand.

Dass das 2:4 nicht gefallen ist, ist einem Reflex von Golz zu verdanken, der zwar einen Schuss aus kürzester Distanz nicht festhalten konnte, aber der Kugel eine derartige Rotation mitgeben konnte, dass sie vor der Torlinie zur Seite wegsprang und Brumme klären konnte. Brumme hatte in der verbleibenden Spielzeit auch die vielleicht beste Chance auf den Ausgleich, doch seinen 25m-Hammer konnte Uphoff zur Ecke klären.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Dabrowski bereits dreifach gewechselt und für Voufack, Eisfeld (der eine brilliante Partie zeigte) und Vonic in Person von Wiegel, Kaiser und Berlinski neue Impulse gebracht. Dass in den sozialen Medien dem Coach jegliche Kompetenz schon wieder abgesprochen wurde, weil er Vonic für Berlinksi heruntergenommen hat, anstatt auf eine Doppelspitze zu bauen (weil „so kann man halt auch keinen Druck aufbauen“), ist mal wieder RWE-typisch. Erstmal meckern.

Jedenfalls musste dann zehn Minuten vor dem Ende auch Brumme für Voelcke weichen, Doumbouya ersetzte Young. Und ich bin ehrlich: Zu diesem Zeitpunkt wäre ich mit einem Unentschieden schon mehr als zufrieden gewesen, denn all zu viel lief nicht mehr in der Offensive. In der Hektik der Schlussphase, im Angesicht der drohenden Niederlage reihte sich ein Fehlpass an den nächsten, da nahmen die Gäste ordentlich Zeit von der Uhr und wurden dabei teils auch vom nicht immer sicher wirkenden Schiedsrichter unterstützt. So beispielsweise, als sich zwei Freiburger (Wörner und Lang) beim Versuch, eine Flanke zu erlaufen, über den Haufen liefen und im Toraus (!) liegen blieben. Golz führte den Abstoß schnell aus, wurde aber vom Schiedsrichter zurückgepfiffen – für mich unverständlich, war doch ersichtlich, dass es sich nicht um eine Kopfverletzung oder einen dringenden medizinischen Notfall handelte. Wenig später lag Wörner dann in der Mitte der rot-weissen Spielfeldhälfte, Rios Alonso spielte den Ball jedoch nicht ins Aus, sondern trieb den Ball nach vorne, nur um dann ebenfalls vom Unparteiischen zurückgepfiffen zu werden (und vom Freiburger Breunig angerempelt).

Doch dann die Schlussphase: Erst prüft Berlinski Uphoff mit einem Drehschuss, dann ist es Kaiser, der eine jener so besonderen Geschichten schreibt. Jener Kaiser, der zum Aufstiegskader gehört hatte, in der letzten Saison verliehen war und eigentlich vor dieser Saison gesagt bekommen hatte, dass man nicht mehr mit ihm plane. Der dann aufgrund solider Leistungen in den Vorbereitungsspielen doch einen Vertrag bekommen hatte, dann jedoch verletzt war und in seinen bisherigen Einsätzen gerade mal 72 Minuten auf dem Feld gestanden hatte. Dessen Geburtstag mit dem Spieltag zusammen fiel. Jener Kaiser kommt zentral 18m vor dem Freiburger Tor an den Ball und nagelt ihn zum Ausgleich unter die Latte, dass Uphoff nur noch staunend hinterher sehen kann.

Es ist bezeichnend in dieser Spielzeit, dass diese Mannschaft sich nicht zufrieden gibt mit nur einem Punkt, und so gewährte das Team dem Geburtstagskind auch keinen Moment des Jubels vor der West. Berlinski zog Kaiser zurück in die Realität und Richtung Anstoßpunkt, wo den Freiburgern der Ball demonstrativ wieder in die Hand gedrückt wurde – „einen bekommt ihr noch!“

Walter Ruege war noch damit beschäftigt, den Torschützen zu verkünden, als das Stadion erneut ausrastete: Obuz hatte sich über die rechte Seite in den Strafraum getankt und wurde von den Beinen geholt – Strafstoß. Und wieder eine dieser Geschichten. Nicht etwa Harenbrock, der Dienstälteste auf dem Platz oder Müsel treten an, sondern Moussa Doumbouya, der bei RWE nicht richtig in Gang gekommen ist bislang und der mit seiner Gesamtsituation sicher nicht zufrieden ist. So ein Selbstvertrauen musst du dann trotzdem erstmal haben, den Ball in der 90.+x vom Punkt so eiskalt in den Maschen zu versenken, wie Doumbouya es am Samstag tat.

Golz musste noch ein letztes Mal in höchster Gefahr eingreifen, doch der 4:3-Sieg war schließlich unter Dach und Fach. Wahnsinn!

Es gibt sicher genug zu kritisieren am Spiel, vor allem am Defensivverhalten. Doch dies wurde von Dabrowski in der Pressekonferenz und dem Magenta-Interview nach dem Spiel schon angesprochen, daher erspare ich mir und euch an dieser Stelle, auf das teils vogelwilde Abwehrspiel einzugehen. Die Jungs sind da selbstkritisch genug, die Fehler einzugestehen. Hinzu kam sicherlich, dass mit Götze (grippaler Infekt) und Sapina (Knieprobleme) kurzfristig zwei wichtige Defensivsäulen ausgefallen waren. Beide sollen aber gegen 1860 wieder fit genug sein, um eine Alternative im Kader zu bieten. Auch Rother, der Samstag ebenfalls krank fehlte, wird wohl wieder zum Kader zählen.

Positiv weiterhin: Mit Rüth und Manu standen zwei „Langzeitverletzte“ erstmals wieder im Aufgebot, das Spiel bot es allerdings nicht an, den beiden ein paar Einsatzminuten zu gewähren.

Morgen geht es also gegen die Münchener Löwen im Nachholspiel um weitere drei Punkte. Den Ergebnissen vom Wochenende ist es zu verdanken, dass bei einem (so dringend mal wieder notwendigem) Auswärtssieg gar Platz 3 winkt, nur vier Zähler hinter dem direkten Aufstiegsplatz, den aktuell noch Dresden hält. Dann folgen die „Wochen der Wahrheit“: in Regensburg, gegen Ulm und in Dresden. Nach diesen vier Spielen wissen wir wohl, ob wir eine realistische Chance haben, etwas unerwartet, aber durchaus ernsthaft ins Aufstiegsrennen einzugreifen. Holen wir aus diesen vier Spielen acht oder mehr Punkte, sind wir voll dabei, da lege ich mich fest. Und mit dieser Siegermentalität ist der Mannschaft alles zuzutrauen.

Doch selbst, wenn wir am Ende nur um die goldene Ananas mitspielen: Es ist bereits jetzt eine phänomenale Saison mit vielen kleinen Geschichten, die uns so emotional mit Rot-Weiss Essen verbinden. Oder wie Walter Ruege es in der Pressekonferenz sagte: Der Grund, warum so viele RWE-Fans graue Haare haben.

Nur der RWE!

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