Die EM in Deutschland – nur ganz anders

Wenn sich dieser Tage entscheidet, welche Mannschaft den Europameistertitel 2024 für ihr Land gewinnen kann, bin ich mittendrin, statt nur dabei. Ich bin Volunteer, und das, wie der Name schon sagt, vollkommen freiwillig (und unentgeltlich).

Wie konnte es soweit kommen? Zum Einen war ich bereits 2006 (damals aus purer Neugier) Volunteer bei der WM in Deutschland und war total begeistert von der Atmosphäre, den Fans und allem, was dazugehört, zum Anderen war ich offenbar im Bewerbungsprozess für dieses Turnier so überzeugend, dass man mir zutraut, mich wieder einsetzen zu können. Durch meine Stadiontätigkeiten rund um RWE und meine Vorerfahrungen bin ich dann auch in den Genuss gekommen, Teamleader sein zu dürfen. Dazu später mehr.

Ich bin eingesetzt in einer Stadt nördlich von Essen. Ja, ausgerechnet dort. Das hat natürlich zur Folge, dass dort auch diverse Anhänger des örtlichen Vereins tätig sind. Dazu gehören unter anderem die drei „Profi-Volunteers“ des Vereins, die in leitender Funktion oberhalb der Teamleiter und unterhalb der Projektleitung fungieren. Natürlich gibt es hier und da schon mal einen Spruch in beide Richtungen, aber am Ende ist es halt auch nur Fußball. Als ich mich am ersten Abend mit einem Handschlag von meinem Area Leader verabschiedete und ihm sagte, dass ich ausnahmsweise mal einem Sch*lker die Hand drücken würde, erwiderte er das nur mit einem „f*cken und vergessen“. Man mag sich halt im Pott.

Volunteers gibt es pro EM-Standort ca. 1.600. Diese kommen aus aller Welt – es sind Leute aus ganz Europa auch aus Japan, Venezuela, Argentinien oder Kolumbien am Start – und sind in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Manche kümmern sich um die IT, manche um Probleme mit dem Ticketing, andere sind für Akkreditierungen zuständig und wieder andere, wie der bei RWE-Fans wohl bestens bekannte Markus Endberg, kümmern sich um Social Media. Und dann ist da noch der riesige Block der Spectator Services-Volunteers. Dazu gehöre auch ich. Kurz gesagt: Wir sorgen dafür, dass die Leute von der Bahn bis auf ihren Platz kommen, stehen im und am Stadion Rede und Antwort und lösen alle Problemchen, die so auftreten können. Sei es, dass jemand das Klo nicht findet oder auch die Frage, wo nach dem Spiel die Shuttlebusse abfahren. Oberste Devise dabei immer: „Smile!“ Dies wurde uns bei unseren Schulungen vermittelt, die teils auf Englisch von einem Griechen mit gar putzigem Akzent samt typischem „S-Fehler“, teils auf Deutsch von seiner bezaubernden Assistentin durchgeführt wurden, die sich auch sonst mit all ihren Möglichkeiten um unser Wohlergehen kümmern. Wir sind hier echt gut versorgt, vom Wasser über in liebevoller Handarbeit laminierte Stadionpläne bis zum Süßigkeitenbeutel wird versucht, uns das Ganze so sorgenfrei wie möglich zu gestalten. Denn unser eigener Spaß, auch das eine Essenz aus den Einweisungen, steht nach unserer eigenen Sicherheit ganz weit oben in der Priorität.

Nun bin ich also einer der Teamleiter. Das bedeutet, dass ich mit Funkgerät ausgestattet ca. 18-20 Kilometer abreiße und dabei ein Team von ca. 8-10 Volunteers organisiere, das einen festen Stadionbereich zugeordnet bekommen hat. Im Spiel England – Serbien war dies die Südkurve, inmitten der vielen englischen Fans, von denen zwar keiner weniger als fünf Promille auf dem Tacho hatte, die aber dennoch in bester Feierlaune waren.

Das Spiel Italien – Spanien haben wir vor dem Einlass verbracht, die Schichten sind immer schön im Wechsel innen und außen, damit alle Teams möglichst gleich behandelt werden. War ich diesbezüglich zunächst skeptisch, erwies sich der Standort vor den Stadiontoren als gar nicht so schlimm wie erwartet. Man kommt halt überall mit all den Leuten in Kontakt, die sich auf ein gutes Spiel freuen, oft auch viel Bier trinken wollen und für jede Unterstützung dankbar sind. Die Sprachbarriere spielt dabei natürlich gelegentlich eine Rolle, aber was gibt es spannenderes, als einem betrunkenen Italiener auf Englisch beizubringen, dass er WIRKLICH mit dem Bus zum Hauptbahnhof zurückfahren kann. Und nein, liebe Spanier, der Name „Grillostraße“ weist wirklich nicht auf eine Vielzahl an Barbecues hin. Weiterer Vorteil außerhalb: Man kann sich ein bisschen darum kümmern, dass Anti-RWE-Aufkleber entfernt und/oder überklebt werden. So macht man ganz nebenbei auch die Nachbarstadt zu einem besseren Ort.

Natürlich gibt es nicht nur positive Aspekte an dem Ganzen. Man muss schon eine Menge Zeit investieren (rund 7 Stunden vor Anpfiff sind wir vor Ort fürs Tagesbriefing etc. und wir bleiben bis ca. 2 Stunden nach Abpfiff, kommt also erst nach Mitternach nach Hause) und auch körperlich geht das ganz schön an die Substanz. Am nächsten Tag ist an körperliche Tätigkeiten kaum zu denken, weil der Akku einfach leer ist. Aber all das muss man halt in Kauf nehmen, wenn man sich für so etwas meldet. Da kann man sich noch so oft beschweren, dass man nicht in Stadionnähe parken darf, wenn die Orga sagt „ist nicht“, dann ist nicht. Fertig. Darüber habe ich auch gelernt: Whatsapp-Gruppen mit 200 Leuten sollte man stumm schalten, wenn man sie gerade nicht braucht.

Während der Schicht sind natürlich Pausen geplant, in denen man sein Snackpaket zu sich nehmen kann, aber mir persönlich fehlt dazu die Ruhe. Denn auch viele andere Volunteers machen dann im „Hauptquartier“ Pause, was wiederum zu einem Mangel an Tischen und viel Trubel führt. Weiteres Manko: Das Spiel kann man außer auf Monitoren oder im Volunteer Center auf Leinwand leider nicht sehen. Zumindest nicht offiziell, aber der eine oder andere hat sicher auch mal ins Stadion gelunkert, wirklich gewollt ist das aber nicht.

Und dann ist da noch das Thema Unzuverlässigkeit. So ist es mir in der ersten Schicht passiert, dass einer meiner Leute einfach nach der Pause nicht mehr aufzufinden war und sich gut eine Stunde später mit den Worten „Bin nach Hause, wurde mir zu spät“ zurückmeldete. Zum Glück – und das möchte ich ausdrücklich betonen – ist das aber die absolute Ausnahme. Die Leute reißen sich echt den Allerwertesten auf und haben auch um Mitternacht noch ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Wer sich wie der Kollege oben verhält, tritt den Einsatz der anderen mit Füßen und gehört von der weiteren Teilnahme meiner Meinung nach ausgeschlossen.

Aber insbesondere die absolute Freundlichkeit untereinander, diese unbeschwerte Atmosphäre der Fans verschiedenster Nationen auch in gemischten Gruppen ist es, was diesen „Job“ für mich so zu einer unvergesslichen Erfahrung macht. Ich kann wirklich jedem nur empfehlen, das bei nächster Gelegenheit selbst mal zu versuchen. (Ja, ich habe auch von den Schlägereien und Verwüstungen in der Innenstadt gehört, am Stadion war aber alles absolut friedlich.)

Abseits der Schichten gibt es auch einiges an Programm – ein großer Unterschied zur WM damals. Man trifft sich zum Rudelgucken in der Fanzone, zum Kickerturnier im Volunteer Center oder nimmt eines der vielen Angebote wahr, die mit der Akkreditierung ermäßigt sind: Gasometer oder Fußballmuseum, um nur zwei zu nennen. Oder man schließt sich einer kleinen Zechenführung an, die ein Mit-Volunteer auf die Beine gestellt hat. So muss man sich auch als „Auswärtiger“ von jenseits des Ruhrpotts nicht langweilen und man lernt die Gegend ganz nebenbei kennen. Auch das ein netter Nebeneffekt.

Bevor es in wenigen Stunden zum Spiel Portugal – Georgien geht, erneut ein dickes Dankeschön an Paris, Miri, Olaf, Frank und Darius! Let’s get this done!

Ein Kommentar zu „Die EM in Deutschland – nur ganz anders

  1. Danke dir für diesen sehr interessanten Einblick rund um die EM! Respekt! 👍🇩🇪⚽️🇲🇨🙋🏼‍♂️

    Gruß Claus

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