Elf Minuten am Glück vorbei

Puh, das musste ich jetzt erst mal sacken lassen, das gerade erlebte verarbeiten. Wie mittlerweile allenthalben bekannt sein dürfte, hat unser RWE die erste Qualifikationsrunde zur Europaleague 2018/19 gegen die favorisierte Borussia aus Mönchengladbach nach aufopferungsvollem Kampf mit 1:2 verloren.

Sven Demandt vertraute im Großen und Ganzen der Stammelf, lediglich Cokkosan wurde durch den anfangs nervösen, aber dennoch abgeklärt verteidigenden Unzola ersetzt, für Urban rückte Meier in die Innenverteidigung und Brauer durfte das Spiel im Mittelfeld ordnen.

Die Gladbacher zeigten von Beginn an ihr dominantes Gesicht und ließen geduldig Ball und Gegenspieler laufen. Erst nach gut 10 Minuten gelang es RWE, den Ball mal kontrolliert für ein paar Stationen zu halten, doch Angriffe sollten daraus noch nicht resultieren. Und so hatte der Bundesligist auch die ersten Chancen im Spiel, die aber alle mehr oder weniger dilettantisch vergeben wurden.

Nach gut 25 Minuten fiel ein Borusse im Strafraum (wie die TV-Crew mir mitteilte wohl klarer Elfer…), der Schiri gab jedoch Abstoß (obwohl dies eine glasklare Ecke hätte sein müssen). Und so kam es, wie es kommen musste: nach einer guten halben Stunde gelang es Platzek, den Ball irgendwie nach außen auf Pröger durchzustecken, der jedoch mangels Anspielstation in der Mitte warten musste und auf Malura zurücklegte. Dessen Flanke landete auf dem Kopf (!) von Benny Baier und von dort zum 1:0 für unsere Mannschaft in den Maschen – die Hafenstraße verwandelte sich vom Hexenkessel in ein Tollhaus! Mir wurde für einen Moment schwarz vor Augen, die Beine ganz weich! Danke, Adrenalin!

Diese Führung stellte das Spiel natürlich auf den Kopf. Die Gladbacher wurden plötzlich hektischer, einige technische Fehler schlichen sich bei ihnen ein, bejubelt vom Essener Publikum. Trotz guten 70% Ballbesitz für Gladbach ging es mit der Führung in die Pause. Von „verdient“ zu sprechen wäre vielleicht zu viel des Guten.

Das Bild sollte sich auch in der zweiten Hälfte nicht sonderlich ändern. Borussia drückte, RWE verteidigte mit Mann und Maus und verlagerte sich aufs Kontern. Zwei, drei Gladbacher Schüsse strichen nur knapp an Hellers Kasten vorbei, auf der Gegenseite verhinderte der Schweizer Nationalkeeper Sommer bei einem Schuss von Pröger, dass die Führung ausgebaut werden konnte. Und mit jeder vergebenen Chance wuchs der Jubel auf den Rängen weiter an. In der 70. Minute dann die Situation, die Baier wohl zurecht zum „Man of the Match“ machte: Nachdem Heller schon geschlagen war, kratzte unser Kapitän den Ball noch irgendwie von der Linie und wurde dafür von seinen Jungs bejubelt, als hätte er erneut getroffen.

Dieser Ball – ich hatte ihn schon im Kasten gesehen. Ein Blick nach rechts und links zu meinen Kumpels: geballte Fäuste, „jawoll“ und „jetzt erst recht“ im Gesicht. Sollte es das gewesen sein? Unser Kasten vernagelt? „Du kommst hier heute nicht durch“? Ich gebe zu, in diesem Moment habe ich tatsächlich erstmals daran geglaubt, dass wir heute hier in die zweite Runde einziehen konnten. Vielleicht habe ich für einen Moment vergessen, welchem Verein ich die Daumen drücke. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Elf Minuten vor dem Spielende sorgte einer dieser „Vertikalpässe“ in den 16er dafür, dass Jonas Hofmann allein vor Heller auftauchte. Grund hatte (kein Vorwurf) das Abseits aufgehoben, da er aus einem Zweikampf auf Höhe des 5ers kam. Dann lief alles wie in Zeitlupe: Hofmann schoss – Heller parierte. Leider erneut vor die Füße von Hofmann (ebenfalls kein Vorwurf), der sich dieses Geschenk diesmal nicht nehmen ließ.

„Na ja. Dann eben in der Verlängerung irgendwie noch einen reinknickern oder ins Elferschießen retten“, dachte ich mir. Weit gefehlt. Zeiger wurde an der Grundlinie ausgetanzt, Malura kam nicht an die Flanke heran, wurde von hinten angeköpft und sein Gegenspieler spitzelte den Ball vorbei am herauseilenden Heller zum bis dahin quasi abgemeldeten Raffael, der die Sensation damit verhinderte.

Danach beschränkten sich die Gäste darauf, den Ball in den eigenen Reihen hin- und herzupassen, die letzten Verzweiflungstaten unserer Pokalfighter verpufften leider erfolglos.

Von unseren Jungs sind einige klar herauszustellen:
Baier – Torschütze und -verhinderer, unermüdlicher Motor im Mittelfeld und Anpeitscher des Teams
Pröger – immer wieder diese pfeilschnellen Läufe, immer wieder frei anspielbar, in ein, zwei Situationen vielleicht zu eigensinnig, aber dennoch gefährlich
Zeiger – Turm in der Innenverteidigung, hatte nur ein einziges Mal, bei der Flanke zum 1:2 das Nachsehen
Heller – auch von mir oft gescholten, hielt, was zu halten war (und das war nicht wenig)
Malura – herzerfrischend offensiv, warum nicht immer so.

Aber auch der Rest des Teams zeigte eine tolle Präsenz auf dem Platz. Mehr davon, bitte.

Dass die Mannschaft nach der Partie noch vor der West „gefeiert“ wurde und dabei auch selbst ein kleines bisschen mitgemacht hat, lässt mich hoffen, dass es erneut zu einer Art Schulterschluss, zum Zusammenwachsen kommen könnte. Denn genau das werden wir im grauen Liga-Alltag demnächst auch wieder brauchen, wenn es mal nicht so läuft – auch wenn ich hoffe, dass Wuppertal ein böser, böser Ausrutscher war.

Nur die kühnsten Träumer unter uns hätten wohl damit gerechnet, keine deutliche Niederlage zu kassieren. Klar, an der Hafenstraße, zudem freitags unter Flutlicht, da ist alles möglich. Es sind diese Spiele, in denen Helden geboren werden, an die man sich auch noch in zehn oder zwanzig Jahren vielleicht zurückerinnert. Wie man beinahe einen Bundesligisten aus dem DFB-Pokal geworfen hatte. Leider sollte es an diesem Abend nicht gelingen, als Sieger vom Platz zu gehen. Allerdings war dies der vielbeschworene „Hafenstraßen-Fußball“, der Kampfgeist auf dem Platz und die Atmosphäre auf den Rängen, die mich und vermutlich auch viele andere seinerzeit zum RWE-Fan gemacht haben. Umso schöner, dass das Spiel trotz TV-Präsenz ohne Pyro & Co. oder Ausschreitungen ausgekommen – ja, man lieferte sich mit dem Gladbacher Anhang gar einen „Scheiß DFB-Wechselgesang“.

Trotz Niederlage und leichter Depression mit einem Lächeln nach Hause, das hatte es bei mir lange nicht mehr gegeben. Ich kann es verwinden, da natürlich dieser Wettbewerb eigentlich nicht unsere Kragenweite hat. Dies war ein Bonusspiel, das zu gewinnen sicher schön gewesen wäre.

Die Respektzollungen in den sozialen Medien auch von Gladbacher Seite taten sicher nicht nur dem Team gut, auch wenn man das als Verlierer natürlich eigentlich nicht hören möchte. Und da stören auch ein paar Internet-Trolle wie der kleine Leon oder sein Homie Alex nicht, die sicher heute noch von den allerersten beiden V+ Energy ihres Lebens noch einen Kater haben. Vielleicht lernen sie auch eines Tages noch, wie man als Gewinner Größe zeigt und die Leistung des Unterlegenen anerkennt.

Unfassbar dennoch, dass sich immer noch Leute finden, die nicht zufrieden sind und noch etwas zu meckern finden. Auch das ist vermutlich einfach Rot-Weiss Essen.

Und wenn es sich eines Tages noch bis in die Redaktion von n-tv herumspricht, wer der echte RWE war, ist und sein wird, dann wird auch alles gut…

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2 Kommentare zu „Elf Minuten am Glück vorbei

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