Sonntag steht der vielleicht wichtigste Termin in der Nach-Insolvenz-Geschichte unseres Lieblingsvereins auf dem Programm: Die Jahreshauptversammlung mit der Abstimmung über die Anweisung an den Vereinsvorstand, eine mögliche Ausgliederung der Profiabteilung voranzutreiben.
Ich schreiben bewusst nicht „Abstimmung über die Ausgliederung“, weil darüber bekanntermaßen in einem späteren Schritt noch zu entscheiden ist.
Über die Fakten und Szenarien ist an verschiedensten Stellen ja schon einiges geschrieben worden. An dieser Stelle findet ihr daher ausschließlich meine eigene, persönliche Meinung zu dem Thema.
Um es vorwegzunehmen: Ich bin absolut dafür, die Möglichkeiten einer Ausgliederung auszuloten. Dies ist – wenn nicht noch eine der Familien Albrecht oder Deichmann plötzlich eine Liebe zum Mäzenatentum im lokalen Fußball entdeckt – die einzige Möglichkeit, auf verhältnismäßig einfachem Wege an einen größeren Geldbetrag zu kommen. Natürlich ist dies mit allerhand Juristerei verbunden, aber um auf den selben Betrag nur mithilfe einfachen Sponsorings zu kommen, braucht man wohl mehrere Jahre. Mit einer dicken Finanzspritze wäre es der sportlichen Leitung möglich, einen (auf dem Papier) stärkeren Kader zusammenzustellen, weil eben die Spielräume größer würden. Ohne konkrete Zahlen zu kennen gehe ich zwar davon aus, dass man in Essen doch sehr gut bezahlt, allerdings können wir mit Mäzen-Vereinen wie Viktoria Köln oder anscheinend auch dem SV Rödinghausen beim allerbesten Willen nicht mithalten. Von den durch die Profis subventionierten Zweitvertretungen mal ganz zu schweigen. Man könnte also „bessere“ Spieler an die Hafenstraße locken, die die sportliche Lücke eher zu schließen in der Lage wären, als vielleicht der dritte Ersatzstürmer eines Oberliga-Aufsteigers. Tradition schießt leider keine Tore. Geld tut es zumeist – so sehr es auch in den Ohren mancher schmerzen mag. Allein unter rationalen Gesichtspunkten ist eine Ausgliederung um der lieben Moneten Willen ein wichtiger Schritt.
Zweitens: mit der angestrebten Lösung der KGaA (Wikipedia) erhält man sich den eigenen Einfluss, ohne potentiellen Investoren zu signalisieren, dass man sie eigentlich nur des Geldes wegen haben will. Ein einfacher Sponsor (oder „Mäzen“) hätte vielleicht noch als Gegenleistung einen gewissen Werbeeffekt und vielleicht eine Loge im Stadion, das war es aber auch. Aber eine Kooperation mit einem Investor soll natürlich beiden Seiten den größtmöglichen Erfolg bieten: Finanzspritze -> sportlicher Erfolg -> größerer Wert der Anteile, den der Investor dann gewinnbringend an einen neuen Investor (oder zurück an den Verein bzw. die Tochter-GmbH) veräußern könnte. Um sich abzusichern, dass das Geld nicht sinnlos aus dem Fenster geworfen wird, sondern tatsächlich in den sportlichen Erfolg investiert wird, dürfte der Investor also auch durchaus in der Hauptversammlung stimmberechtigt sein.
Womit wir bei der nächsten Angst vieler Fans wären: Der Verlust der eigenen Identität. Hier habe ich jedoch in die aktuelle Vereinsführung – insbesondere in Dr. Welling – absolutes Vertrauen, dass wir weder Vereinsfarben noch Logo wechseln werden. Wir werden uns weiterhin unserer Tradition besinnen, bald unseren 65. Jahrestag der Deutschen Meisterschaft feiern und die selben Lieder singen. Wir werden nicht zu „CC Essen“ (wobei das „CC“ wahlweise für „Calcio Club“ oder „Coca Cola“ steht), und wir werden auch nicht in Strukturen à la Leipzig mit nur 35 Mitgliedern abdriften. Allen anderslautenden Stimmen zum Trotz sind wir noch immer der „Asi-Club aus Essen“, das werden wir auch bleiben. Hier gibt es keine Lachshäppchen an Chiantischaum in der Loge, hier gibt es die gute Currywurst. Hat Welling auch so manches „Sperenzchen“ mitgemacht – ich erinnere beispielsweise an die launigen Videos zu den „Auf Asche“-Spielen – er hat nie daran Zweifel aufkommen lassen, dass besonders die Tradition eines der Trümpfe ist, mit denen RWE noch heute sticht.
Ich glaube auch, dass es der richtige Zeitpunkt ist, diesen Schritt zu planen. Je früher desto besser. Denn so gering das Nadelöhr Aufstieg auch sein mag – wenn es eine sinnvolle Möglichkeit gibt, das große Ziel zu erreichen, ohne sich in totale Abhängigkeit zu bringen oder total zu überschulden, sollte man es angehen. Vielleicht wäre es sogar sinnvoll gewesen, das Thema Ausgliederung noch vor oder zusammen mit der Hoch-3-Aktion anzugehen, um weiteren Schwung aufzunehmen. Vielleicht war die Planung einer Ausgliederung aber noch nicht weit genug gereift. Hier werden Gespräch im Hintergrund gelaufen sein, mit potentiellen Investoren genauso wie mit Juristen. Es ist aber auf keinen Fall zu früh, um sich über eine Ausgliederung Gedanken zu machen, denn erst einen eventuell nie eintreffenden Aufstieg abzuwarten, wäre schon beinahe fahrlässig.
Zum Abschluss meines kleinen Pamphlets: Ich habe das Gefühl, dass die meisten, die für „NEIN“ sind, eher ein Problem mit Welling haben. Hier werden die irrsinnigsten Dinge genannt, um ihm anzudichten, dass er irgendwas Düsteres im Schilde führt: Sein (von irgendjemandem mal kolportiertes) Salär von angeblich 20.000 €, die Erwähnung mehrerer Mitarbeiter als Direktoren auf der Homepage, sein sinistrer Plan, aus RWE ein „FC St. Pauli 2.0“ machen zu wollen (er setze dabei sogar Sandy (!) ein, um die „aktive Szene“ auszuspionieren – liebe Aluhut-Fraktion, Sandy ist länger RWE-Fan als ihr auf diesem Planeten weilt. Der gibt ALLES für seinen Verein.) oder seine vielzitierte Entspanntheit, die immer wieder auf alle Lebenslagen angewandt wird. Ich habe den Eindruck, viele dieser Leute leben in einer Welt ohne wirtschaftliche Zusammenhänge, wo die Zuschauereinnahmen direkt in neue Spieler investiert werden können, wo das Ausgeben von nicht vorhandenem Kapital (also die Aufnahme von Krediten) wichtiger als eine gesunde Bilanz ist (Stichwort: „RWE ist ein Fußballverein, keine Bank“). Diese Verbohrtheit macht mich einfach nur fassungslos. Ohne jetzt zu philosophisch sein zu wollen: Vielleicht liegt das einfach nur am Zeitalter der Social Media, dass viele Leute jeden Blödsinn einfach unreflektiert glauben und weiter verbreiten – steht ja schließlich im Internet. Weist man darauf hin, wird man natürlich angemacht, man solle endlich aufwachen, dann erkenne man die Wahrheit – danke, Welling!
Und um es nochmal klarzustellen: Welling hat sicherlich nicht alles richtig gemacht (Stichwort Harttgen, Siewer), aber eine ganze Menge besser. Er ist aber auch der allerletzte, der die Verantwortung von sich schiebt. Leider vergibt die rot-weisse Fan-Seele anscheinend aber nicht so schnell, wie sie Leute verdammt. Das war bei schon bei Karim Zaza so, bei Robert Wulnikowski und auch bei Niclas Heimann (warum ist eigentlich immer der Keeper der Gearschte?). Und by the way: Es steht jedem Mitglied frei, sich die nötigen Stimmen der anderen Stimmberechtigten zu erarbeiten, um ihm den Posten bei der JHV abzunehmen und selbst das Ruder zu übernehmen. Diesbezüglich bin ich aber froh, dass der Großteil der Mitglieder etwas weiter denkt als von der West bis zum Strafraum. Ich bin guter Dinge, dass sich dies auch am Sonntag wieder zeigt und ein sattes „JA“-Voting herauskommt.
Nochmal: Eine Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine KGaA ist keine Garantie auf einen Aufstieg. Die Arbeit auf dieses Ziel hin würde dadurch allerdings immens vereinfacht.
Daher: JA zur Ausgliederung.
Wer sich nochmal einen Überblick verschaffen möchte, dem lege ich diesen hervorragenden Beitrag von jawattdenn.de ans Herz.